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Hallo! Hallöchen!

02.06.2022

Er bleibt sich gleich und ist immer anders: In der Frankfurter Festhalle zeigt Udo Lindenberg, was Rock, Popkonzert, Spektakel und Entertainment sein können.

Wenn Marius Müller-Westernhagen sich an gemeinsame WG-Zeiten mit Udo Lindenberg und Otto Waalkes in Hamburg erinnert, fällt irgendwann der Satz: „Ich kannte Udo schon, bevor er seine Kunstfigur erschuf.“ Just aus jener Zeit, den frühen Siebzigerjahren also, stammt ein auf die gigantische Leinwand projiziertes Schwarz-Weiß-Foto von Udo und dem frisch gegründeten Panik-Orchester. Beim Anblick der fünf Musiker bekommen nicht wenige Fans feuchte Augen. Zumal sich die in voller Fahrt befindliche Megasause in der optimal ausgelasteten Festhalle gerade der fulminanten Rockgranate „Rock ’n’ Roller“ vom Album „Galaxo Gang – Das sind die Herren vom andern Stern“ (1976) widmet.

Wenn Lindenberg in Frankfurt das „Udopium“ beschwört, schwingt ganz selbstverständlich eine Riesenportion Nostalgie mit. Schließlich ist die Besucherschar, die nach den Restriktionen der Corona-Pandemie erstmals wieder den Innenraum mit Stehplätzen und Wellenbrechern einnehmen darf, mit dem Hut-Mann mehr oder minder aufgewachsen.

Ein auf das pure Vergnügen zielender Zirkus

Jemanden wie ihn gibt es im deutschen Unterhaltungsbetrieb kein zweites Mal. Ein anfänglich dem Jazz zugeneigter Schlagzeugvirtuose kultiviert in den frühen Siebzigerjahren urplötzlich den inneren Singer-Songwriter und textet in schnodderigem Deutsch, um sodann peu à peu eine opulente Rock-Revue mit sich selbst im Zen­trum aufzubauen. Bis heute sind diese Pioniertaten Ausnahmeerscheinungen in einer immer öderen deutschen Pop- und Rock-Kultur geblieben. Lindenbergs auf das pure Vergnügen zielender Zirkus gleicht sich seit Jahrzehnten und fühlt sich doch immer wieder aufregend neu an: volles Programm mit handverlesenen Preziosen, gut abgehangen bis nagelneu, entnommen einem schier unerschöpflichen Repertoire, dargeboten in einer Rahmenhandlung mit zahllosen optischen Sensationen sowie zig Akteuren und Tänzern in den abenteuerlichsten Verkleidungen. Ein überschäumender Karneval der Sinne, mittendrin ein stets konzentrierter Lindenberg mit gut geölten Stimmbändern und ohne Konditionsschwächen, mal mit, mal ohne Sonnenbrille. Tänzelnd hechtet er auf der Riesenbühne hin und her, ohne außer Atem zu geraten, regelmäßiges nächtliches Joggen macht es möglich.

Hinter ihm das Panik-Orchester: Schlagzeuger Bertram Engel, Keyboarder Hendrik Schaper, die Gitarristen Jörg Sander und Hannes Bauer, der Pianist Jean-Jacques Kravetz sowie dessen zahlreiche Instrumente spielender und singender Sohn Pascal. Dazu ein Blechbläserteam. Mit dem Bassisten Karl-Georg „Steffi“ Stephan musizierte Lindenberg schon zu Teenagerzeiten, auch das wird mit einem Foto dokumentiert. An den Mikrofonen lassen neben anderen Ole Feddersen, Nathalie Dorra und Ina Bredehorn brillante Stimmen hören. Dazu das eine oder andere neue Gesicht. Und, nicht zu vergessen, die langjährige Weggefährtin Carola Kretschmer an der E-Gitarre.

Knapp 30 Hits einschließlich Zugaben zaubern Lindenberg und Kollegen aus dem Hut. Legendäre Frühwerke aus der Durchbruchsära wie „Honky Tonky Show“, die Mafia-Clanpaten-Story „Jonny Controlletti“, die urige Hollywood-Erzählung „Candy Jane“, das besinnliche „Cello“ und die Dixie-Jazz-Hommage „Alles klar auf der Andrea Doria“ wirken frisch wie einst. Die Coverversion von „Ich brech’ die Herzen der stolzesten Frau’n“ zündet ebenso zeitlos wie der „Sonderzug nach Pankow“, im Original Glenn Millers „Chattanooga Choo Choo“. Auf die Zielgerade gelangt das Showtreiben mit „Eldorado“, „Goodbye Sailor“ und „Odyssee“. Lindenberg verabschiedet sich, wie er kam: Per Hydraulik entschwebt er mit ganz viel Getöse in die Lüfte.

Text: Michael Köhler, FAZ
Fotos: Tine Acke

Quelle: FAZ.de, 01.06.2022