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Hamburgs neuer Ehrenbürger: Udo Lindenberg hat sein Ding!
07.09.2022 Udo Lindenberg ist erst der zweite Musiker, den die Stadt so auszeichnet. Nun steht er in einer Reihe mit Johannes Brahms – darauf einen Eierlikör
Keine Ahnung, warum einem beim Festakt zur Ernennung Udo Lindenbergs zum Hamburger Ehrenbürger ausgerechnet Erich Honecker einfällt. Aber die Begegnung zwischen dem Panikrocker und dem Staatsratsvorsitzenden der DDR im September 1987 vor dem Friedrich-Engels-Haus in Wuppertal steht sinnbildlich für viele Eigenschaften von Udo Lindenberg und auch für einen der Gründe, warum er nach langen Jahren des mehr oder weniger geduldigen Wartens endlich Ehrenbürger wird.
Egal, wie spießig, streng oder lodenjoppig bieder die Umstände sind, Lindenberg dreht sie bei seiner Ankunft sofort um. Mit seiner Mischung aus Charme und Nonchalance und augenscheinlich völliger Sorglosigkeit findet er überall eine Bühne. Er wickelte Einreise-Beamte am Flughafen in den USA ebenso um den Finger wie den grauen SED-Betonkopf „Honey“, dem Udo Briefe, eine Lederjacke und in Wuppertal auch noch eine E-Gitarre („Gitarren statt Knarren“) aufdrängte. Sein Ziel: maximale Lässigkeit. So, wie er alles nicht so eng sah, sollten sich auch Ost und West mal ein wenig lockerer machen. Wahrscheinlich war Lindenberg einer der Letzten, die im September 1987 noch an den Fall der Mauer glaubten.
Politische Naivität, Anbiederung an diktatorische Regime, Einschmeicheln bei den jeweiligen Establishments und drehen des Hutes in jedweden Wind wurde ihm bei seinem Konzert im Ost-Berliner Palast der Republik 1983 ebenso vorgeworfen wie beim Schwatz mit Honecker 1987, beim Entgegennehmen seiner Bundesverdienstorden 1989 und 2019 oder wann immer er mit Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft in einem Raum weilte. Zum Beispiel 2004, als er Wladimir Putin und Gerhard Schröder im Hotel Atlantic zu einem Plausch empfing. Dabei verschaffte sich Lindenberg nur einen Überblick über die Lage, nutzte sein Privileg, quasi den Generalschlüssel zu jeder geschlossenen Gesellschaft zu haben, um zu prüfen, ob man sich Sorgen machen muss. So wie bei seinen nächtlichen Touren im Porsche oder zu Fuß durch Hamburg. Mal die Lage checken. Wenn Lindenberg dann einen Song über Atomkriege, Nazischläger oder Umweltsünden schrieb, wusste man: Okay, irgendwas stimmt nicht, der Berufsoptimist Udo macht sich Sorgen.
Wer so viel erlebt und durchgemacht hat an Erfolgen und Krisen, bösen Reinfällen und Abstürzen, leeren Taschen (und Flaschen) und vollen Stadien, Begegnungen mit dem Jenseits und mit Menschen mit Macht über Leben und Tod, der sitzt einen 70 Minuten langen Termin im Großen Festsaal des Rathauses auf einer Backe ab, auch wenn das eine lange Zeit ohne Zug an der Zigarre ist. 19.45 Uhr ist auch nicht gerade seine bevorzugte Tageszeit. Mitternacht wäre schon besser. Aber um diese Zeit einen großen Auftritt abliefern ist für ihn ja Tournee-Alltag. Das Klickerklacker und nervöse Gepiepe der Kameras und Blitzgeräte, das Geraune und Gemurmel, das Gescharre von Absätzen auf dem edlen Parkett ist vielleicht nicht so Rock ’n’ Roll vor einer Show wie Steffi Stephans brummender Bassverstärker oder Bertram Engels zitternde Schlagzeugfelle. Aber als sich Politik, Presse, Prominenz, Panikorchester, Preisträgerinnen und Preisträger und natürlich El Panico im Festsaal eingefunden haben, wird schnell deutlich: Das hier wird kein protokollarisches Händeschütteln mit Urkunde, sondern eine „Honky Tonk Show“.
Nicht der Sonderzug nach Pankow, sondern der Gospel Train, der Mittelstufen-Chor der Goethe Schule Harburg macht Station im Rathaus und singt „Goodbye Sailor“: „Jetzt steh’n wir hier, schwer bemüht, dass der andere keine Tränen sieht. Doch weißt du, was das Größte ist? Dass du wirklich mein bester Freund geworden bist.“
Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) gibt unter großem Jubel den Beschluss des Parlaments bekannt, Lindenberg zum Ehrenbürger zu ernennen. Sie vergisst nicht zu erwähnen, dass diese Ehre 133 Jahre nach Johannes Brahms erst dem zweiten Musiker zuteil wird: „Das ist ein etwas schiefes Verhältnis, denn Hamburg ist ja nicht nur eine bedeutende Handelsstadt, sondern auch eine Kulturmetropole.“ Sie würdigt in ihrer Rede auch Inga Rumpf, City Preachers, Atlantis, die ganze Hamburger Szene der späten 60er und frühen 70er, die den Ruf der Musikstadt Hamburg in Deutschland prägte. So was hört man selten in diesem Saal. Vielleicht meinte Lindenberg das damals mit seiner „Bunten Republik Deutschland“, jedenfalls sieht man förmlich den Schalk hinter der Sonnenbrille blitzen und die Mundwinkel Richtung Hutkrempe zucken. Genau sein Ding. Er wippt. Könnte noch ein bisschen panischer werden, aber Udo hat Geduld.