Reden
MIT UDO LINDENBERG AUF ZEITREISE
28.08.1999
Rede von Rolf Bothe
Weimar - Schlossmuseum der Staatlichen Kunstsammlungen zu Weimar
Wenn die Kunstsammlungen zu Weimar, deren Aufgabe es ist, internationale Kunst zu sammeln und zu zeigen, eine Ausstellung über Udo Lindenberg als Zeichner und Cartoonist veranstalten und dann noch die Ausstellung an Goethes 250. Geburtstag eröffnen, muss die Frage nach dem Warum nicht nur erlaubt sein, sondern wir wissen, sie wird auch mit kritischem Unterton gestellt werden.
Zuerst ist es eine sehr persönliche Absprache zwischen Udo Lindenberg und mir, und ich danke meinen Kollegen herzlich, dass sie bei dem Unternehmen mitgemacht haben. Lindenberg ist ein Musiker mit mehreren lnteressengebieten, spielte schon bei Klaus Doldinger Schlagzeug, liebt Goethe, zeichnet gern, hat in den so genannten neuen Ländern als politisch agierender Sänger einen Kultstatus und ist in der Lage, Kunst und Kultur auch als Spaß zu begreifen, ein Element, das in den 60er Jahren trotz des missionarischen Eifers vieler Intellektueller an den Universitäten aufkam. Er ist damit gleichzeitig einer der Vorreiter der Spaßkultur der 80er Jahre, und er ist der erste deutsche Rocksänger von Format.
Es ist nicht so, dass ich von Haus aus unbedingt ein Udo Lindenberg-Fan wäre. Als ich seine Songs Anfang der 70er Jahre zum ersten Mal hörte, war ich nicht der Typ, der tagtäglich, während ich an meiner Dissertation als Kunsthistoriker saß, Udo Lindenberg hörte. Neben klassischer und moderner Musik war es vor allem die Musik des modern Jazz von Charly Parker bis Jay Jay Johnson, die mich faszinierte. Aber als ich eines Tages zufällig im Radio »Alles klar auf der Andrea Doria« hörte, dachte ich instinktiv, die schönen Tage des deutschen Schlagers sind nun vorbei! Auf studentischen Partys und sonstigen Festen war man über die Beatles schon hinaus, hörte die Stones und die Gruppe Who oder tanzte immer wieder zu Jimi Hendrix »Hey Joe«. Und plötzlich tauchte Udo Lindenberg im Radio auf und wurde akzeptiert, wenn auch nicht gleich geliebt. Und eines muss man ihm lassen: In seiner Art trug er auch wesentlich zu dem neuen Zeitbild bei, das wir uns damals gemacht hatten.
Was man heute manchmal verächtlich die 68er Zeit nennt, waren eben jene Jahre, in denen wir am Universitätsinstitut nicht nur über den lnstitutsrat und mehr Demokratie stritten, sondern uns auch bewusst wurden, dass es einen neuen Zeitgeist gibt. Und auch Professoren, die wir sehr schätzten, verwunderten sich über alle Maßen, wie es diese Generation fertigbrachte, sich nach einer Vorlesung über Raphael und einer Übung zu Rembrandt auf eine Wiese im Universitätsgelände zu setzen und eben nicht zur Erbauurg Thomas Mann zu lesen, sondern ein Comic-Heft zur Hand zu nehmen. Ein befreundeter, jüngerer Wissenschaftler am BerIiner Antikenmuseum kaufte sehr zurn Entsetzen des Direktors jedes neu erscheinende Micky-Maus-Heft. Ich selbst war Asterix-Anhänger, und einer der Helden oder besser der Antiheld erinnerte mich an Udo Lindenberg. Es geht um die Gestalt des Barden »Troubadix«, der in den deutschen Asterix-Bänden idiotisch übersetzt ist. Im Original heißt er »Assurancetourix«, eine Verballhornung von »Assurance tous risques«, also gegen alle Risiken versichert, »Vollkasko« wäre sozusagen sein richtiger Name gewesen. In den französischen Bänden begleitet er immer die Dorfgemeinschaft und deren Abenteuer mit Gesang, aber er selbst wird stets vom Schmied mit dem Hammer begleitet, der unbarmherzig zuschlägt, wenn der kühne Sänger nur die Stimme erhebt. Was dem Spießer nicht gefällt, wird nicht akzeptiert, Toleranz gilt nicht. Ähnlich ging es Lindenberg, aber er setzte sich durch, zumindest bei den jungen Leuten, und er zeigte seinerseits immer Toleranz, eine Eigenschaft, die wir an ihm schätzten.
Vor allem ließen sich seit den 70er Jahren im Wissenschaftsbetrieb und in der »leichten Muse« die unterschiedlichsten Interessen ohne Schwierigkeiten miteinander verbinden. Asterix und Marcel Proust passten genau so gut zusammen wie Rembrandt und Andy Warhol. Das war auch nicht nur moderne Kunst für die klinisch weißen Wände im Museum, sondern das war factory, Kunst für jedermann. Alles war interessant. Und mit der Musik war es nicht anders. Man hörte nicht nur Bach und ging in den Messias von Händel, man hörte auch nicht nur Strawinsky und Stockhausen, sondern man hörte eben auch die Stones und Janis Joplin. Und irgendwann fand man es ganz hervorragend, dass es einen gab wie Udo Lindenberg. Nicht, dass wir nicht interessiert und bildungshungrig gewesen wären. Nein, wir waren sozusagen geschult an Aby Warburg, dem Altmeister der modernen Kunstwissenschaft, der festen Überzeugung, dass eine leichte Muse mit Intelligenz eben auch zur Kultur gehört und dass man auch dazu stehen muß. Nicht umsonst gab es plötzlich Leute, die unseren Ordinarius verstörten, indem sie als Dissertationsthema die Entwicklung einer Comic-Serie angaben, und das zu einer Zeit, als selbst ein Seminar über Architektur der zwanziger Jahre bei vielen Ordinarien verpönt war.
Dies alles geschah, als wir in Berlin und Tausende junger Leute in anderen, meistens großen Städten in der BRD für mehr Demokratie demonstrierten und eine neue Form von linker Politik forderten, deshalb prompt von den braven Bürgern beschimpft wurden, wir sollten nach »drüben« gehen. Als bei den zahlreichen Demonstrationen die Gewalt gegen Sachen in Gewalt gegen Personen überging, da klinkte sich mancher aus dieser Bewegung aus, und ich gehörte auch dazu. In solchen Fällen, und das habe ich erst später begriffen, waren Leute wie Udo Lindenberg, dessen Vorstellungen sich doch in vielen Punkten mit den unsrigen deckten, enorm wichtig. Er war einer von vielen, die ebenso dachten, aber einer von den wenigen, die es auch öffentlich sagten und der mit seinen Liedern wohl mehr junge Leute erreichte als wir mit unseren Demonstrationen.
In einem Spiegel-Interview vom März 1977 wurde Lindenberg unter anderem gefragt, was denn seine Äußerung bedeute, man müsse »mal wieder Randale machen«. Die Antwort war deutlich: »Ich hab nicht von Randale mit der Faust gesprochen, mir geht es um die Randale im Kopf. Zivlicourage und Kreativität werden an der Garderobe abgegeben, wir steuern auf Schlappland zu.« Also demonstrierten wir, sangen »we shall overcome« und bejubelten auf dem Ostermarsch von Heidelberg nach Frankfurt Joan Baez, die später auch ein Lied von Udo Lindenberg sang. Natürlich waren wir naiv, dennoch hat die westdeutsche Friedensbewegung mit dazu beigetragen, der Politik der Abrüstung zumindest bei der Jugend Popularität zu verleihen und ihr Wählerstimmen zuzuführen. Der Friedensbewegung widmete Lindenberg sein Lied »Wozu sind Kriege da?«, und 1983 ebnete ihm sein Bekenntnis zum Pazifismus den Weg in den Ostberliner Palast der Republik, obwohl ihm der »Sonderzug nach Pankow«, der ihn »mal eben nach Ost-Berlin« bringen sollte, um mit dem »Oberindianer was zu klären«, den Zugang beinahe verwehrt hätte. Das Lied erfuhr danach einen Kultstatus in Ost und West, und in der benachbarten DDR hat Lindenberg mehr bewegt als mancher Politiker. Er wurde zur schillernden Integrationsfigur von Ost und West, 1986 heißt es in einem Song: »In den Ruinen von Berlin/fangen die Blumen wieder an zu blühn/ihr Indianer, Arbeiter und Bauern/kommt wir springen über alle Mauern.« Der Refrain folgt in englisch, französisch und russisch. Gorbatschow ante portas!
1987 kommt es zum legendären Austausch von Lederjacke und Schalmei. Honecker schreibt an Lindenberg: »Die mir zugedachte Lederjacke werde ich dem Zentralrat der FDJ übergeben.« Auf dem Kasten der an Lindenberg geschenkten Schalmei steht noch immer: »Dem Genossen Erich Honecker anlässlich des 35. Jahrestages der FDJ, überreicht vom Zentralen Schalmeienorchester d. FDJ.« Die Lederjacke an die FDJ weitergeschenkt, das Geschenk der FDJ auch weitergegeben, schlechte Manieren! Der Rest ist bekannt.
Die Schalmei sah ich 1998 im Weimarer Hotel Elephant wieder, dort lernte ich auch Udo Lindenberg im Original kennen und seine Cartoons, in weiteren Gesprächen kamen wir überein, 1999 in Weimar eine Ausstellung zu veranstalten. Da an Goethes 250. Geburtstag sehr viele geladene Gäste ins Haus stehen, war ziemlich klar, dass des Dichters Domizil an diesem Tag dem Volk wohl verschlossen bleiben würde. Da aber am gleichen Tag auch eine wichtige Ausstellung über Goethe und italienische Zeichnungen im Weimarer Stadtschloss eröffnet wird, hielten die Kunstsammlungen den Zeitpunkt für gekommen, die Anhänger der ernsten Kunst mit denen der leichten Kunst zusammenzubringen und so vielleicht beiden Neuland zu erschließen. Der große Meister hätte es gewiss verstanden.
Dass auf der anderen Seite Udo Lindenbergs fröhliche Zeichnungen ernst zu nehmen sind und dass der Sänger den Vergleich mit anderen Cartoonisten nicht zu scheuen braucht, wird dem Betrachter schnell deutlich. Wer annimmt, Lindenberg orientiere sich an bekannten Vorbildern wie Crumbs »Fritz the Cat«, dem Deutschen Gerhard Seyfried oder »Clever & Smart«, sieht sich angenehm enttäuscht. Lindenbergs Cartoons zeichnen sich nicht nur durch ihre künstlerische Qualität aus, sondern der Sänger entwickelt auch einen eigenen, unverwechselbaren Stil. Lindenberg ist eben Lindenberg.