Reden
Rede von Prof. Markus Lüpertz
26.03.1996
Hamburg - Erotic Art Museum
Plötzlich überholen Dich Schatten
Huschen
Weich wie Watte ist der Weg
Ratten
Zuckt der Schreck
Werden Ecken rund und wund
Die Augen
Vom Sehen
Sehnen
Zu einem Schlund die Straße
Rettet Dich das Gähnen
Der Sänger zeichnet, der Maler singt
Unruhe herrscht im Olymp
Ist Udo dabei,
Das Gesungene erleben oder den erlebten Gesang
In, ja, in was eigentlich umzussetzen?
Will er in die Weite des Liedes Schlangenlinien werfen,
Fallen stellen,
Seine Klangwelt anmalen,
Wegweiser setzen?
Etwa so:
Können Sie mir sagen, wo bitteschön geht es hier zum Kiez?
Es wird ihm erklärt
Er hört zu
Er zeichnet
Hinten an der langen Nase gehen Sie bitte rechts,
Biegen bei der Oberlippe links ab,
Dann sehen Sie den dicken Bauch.
Stolpern Sie nicht über die Messingknöpfe!
Dann müssen Sie sich am Hut entscheiden,
Ob Sie nach oben
Oder nach rechts unten
Oder nach links um die Ecke wollen.
Wenn Sie sich aber mittig halten,
Umrunden Sie die Zigarettenkippe beim Wasserfleck.
Keine Angst, der ist tief und bloß Wasser
(Schnaps kommt noch).
Achtung, schnell bücken, da kommt die Krallenhand
Stoßen Sie sich nicht
Und nun rein in die dunkle Gasse
Nun schwillt es weich und wattig, weiche Watteteile wölben sich
Sinnlich frech und aufdringlich
Hinterteil, Hintern
Busen üppig, immer üppig
Gallionsfiguren alter Seemannsgeilheit
Glotzt der Arsch, Dein eigener vielleicht, Dich an
Und so weiter, und so weiter...
Und im Redeschwall
Im Zuhören, im Merken
Im Behaltenwollen
Entsteht ein Linienornament
Eine Langnasenwelt
Eine Hutromantik
Ein Zigarettenwald,
In dem die Luft statt laue Winde zu spielen,
Melodien röcheln, stöhnen läßt.
Das Schlagzeugspecht, das hart einsteigt
Und die Amsel Udo lässig an einen Stamm gelehnt
Mit farbigen Tintenfingern
Das Hasen- und Tigerorchester dirigiert zum Waldkonzert.
Ist Udo ein Versammlungsort, eine Lichtung
Ist grünes Gras an einem bißchen Tag
Udo das Fünfminutentagessonnenbad
Udo die kleine Lichtkontrolle, ob die Sonne noch brennt,
Um dann befriedigt Gevatter Nacht zu grüßen,
Der mit seinen Töchtern,
Den blauschwarzen, gefiederten Schattenträumen,
Diesen Körpern aus Wollustwünschen,
Die nur versprechen und nichts halten,
Die wabernd tanzen
Und nur als Dunkelheit Geheimnis versprechen,
Die Nacht bevölkert.
Wenn das Dunkelkammerrotlichtmilieu Heulbojenlichtinseln installiert,
Die man Kneipen nennt,
Und wenn das Schummerlicht aus rechteckigen Toreinfahrten
Palasttore vorgaukelt
Und den abgegriffensten Stelzenvogel zur Göttin eines
Fruchtbarkeitsrituals verfärbt,
Dann lebt der Sänger,
Lebt als Detektiv, lauernd auf Schicksale
Und dann das gebrüllte Wort,
Das geflüsterte Versprechen,
Das gestammelte und verlogene Wort "ich liebe dich", aufleckt
Und das "wievielkostetdieliebe" ausspuckt.
Dann zucken die Hände, dann schreibt er mit,
Dann wird der Bierdeckel Leinwand, Papier,
Dann mischt sich Wort mit Bild,
Füllt der Nachtschwärmer seine ausgebeulten Taschen
Mit Zufallsbibliotheken,
Mit Überlebenslexiken,
Mit Skizzengalerien, heimst im Dunkeln Schattengalerien,
Schattenernte,
Sät, erntet, sieht wachsen, lauert auf das fette Korn, die dicke Frucht,
Stillt seinen eigenen Hunger und Durst,
Verschwendet das Gelernte, das Begriffene, in einer Nacht,
Wird selber Schicksal, wird auch belauert,
Registriert, entleert,
Um dann danach, wer weiß wann,
In den Taschen wühlend die gesammelte Schnitzelwelt zu entdecken.
Um in endlosen Puzzlesekunden Landkarten zu kleben,
Die Berge aus Verzweiflung, Flüsse der Leidenschaft, Seen aus Tränen
Und goldene Städte, gebaut von schneller Liebe, ausmessen.
Irrt dann der Sänger in dieser Erfahrungswelt,
Trinkt die salzigen Tränen,
Verläuft sich in den klagenden Felsen
Und lauscht dem Stöhnen und Gurgeln der dunklen Flüsse
Und
Singt darüber,
Hockt am Tor der Großstadt, dem Hades Nachtleben
Und singt für die Tiere der Nacht,
Singt: "Schlafe mein Prinzchen, schlaf ein".
Und taucht in die lautlose Welt des Traumes
Singend
Träumt lautlos, auch Sänger träumen lautlos,
Bevölkert die reine weiße Welt des Traumes mit Erinnerungen.
Ist lautloses Singen Träumen, und vielleicht auch Zeichnen?
Dann zeichnet der Sänger,
Den Sänger singend, oder einfach lebend, liebend,
Karikiert ihn,
Erklärt ihm die Welt, in der er zu Hause herumirrt,
Besingt Schönheit, zeichnet sie häßlich,
Zeichnet sich das Licht auf die Flasche,
Läßt Deckweiß als Lichtreflexe satt über Flaschengrün suppen,
Spritzt Schwarz auf Hutumrisse,
Malt mit Ruß Schornsteinfegerprozessionen,
Zeichnet Schweinemadonnen, die in Comics Bordelle eröffnen,
Zeichnet mit Pfaffenschwarz Rattenfängerparodien,
Läßt Strichmännchen in Orgien schweinigeln.
Läßt Hampelmänner Welten anhalten.