Termine

alle Termine »

News

Udo Lindenberg: Frankfurt Panik Yeah!

05.06.2019

Udo Lindenberg in der Festhalle Frankfurt und warum eigentlich nicht als SPD-Chef?

Was für ein Gesicht. Ein Hut, eine Sonnenbrille, na klar, die Röhrenjeans und die hüftlangen Jacketts, das ist Udo Lindenberg. Aber ganz früh am Abend schon zeigt er Frankfurt sein Gesicht – sein 73-jähriges Gesicht in Großaufnahme auf dem kinoleinwandgroßen Bühnenhintergrund in der randvollen Festhalle. Es ist ein altes Gesicht, ein zerfurchtes, verlebtes, ein sprachlos machendes Gesicht für einen Moment. Erst später im Konzert wird dieses Gesicht plötzlich als die Rettung am Firmament erstrahlen, als, wie soll man sagen – Silberblick hinterm Horizont.

Zuerst natürlich die sogenannte Panik. Udo is a Panikrocker, wie schon die Ramones 1977 beinahe gesungen hätten (stattdessen sangen sie „Sheena is a Punkrocker“), vier Jahre nach Gründung des Panikorchesters, und standesgemäß knallt er in unser Leben auch diesmal mit einer krassen Explosion auf der Bühne, alles qualmt und raucht, eine Rakete startet, völlige Konfusion, ehe aus einem Flugzeug namens „Panik 1“ der Udo steigt und noch ein Udo und noch einer, aha: Alles falsche Udos mit Hüten und Sonnenbrillen und High Heels. Der echte kommt mit dem Mondlander von oben herabgefahren. So was macht er ja gern.

Viele 60-plus-Männer mit Motivshirts

Draußen wimmelt die Stadt schon den ganzen Nachmittag von 60-plus-jährigen Männern mit Motivshirts und Kappen, die unternehmungslustig in Kleingruppen noch ein Bier zischen gehen, bevor der Udo kommt. Es handelt sich um einen Ritus, und es kann eigentlich nicht stimmen, dass angeblich drei Jahre vergangenen sind, seit er das letzte Mal in der Festhalle war. „Das hat mir echt gefehlt“, sagt der echte Udo nach dem fulminanten Start seiner topfitten Band auf der Bühne: „Ich brauche neues Udopium!“

Er sagt viele solche Sachen an diesem Abend, so was wie „Frankfurt Panik Yeah!“ und „Ready für euch!“, die Tournee fängt ja gerade erst an, und „Der Adler kreist in Europa!“ Ein Udo-Lindenberg-Konzert ist ein Konzert, nach dem man einen halben Notizblock vollgeschrieben hat. Das gibt es bei keinem anderen Rockstar. Dieser Rockstar bohrt, nachdem er „Honky Tonky Show“ (1974) gesungen hat und „Ich mach mein Ding“ (2008) – er bohrt uns seinen Finger in die Brust und sagt: Hey, Leute, was ist los mit euch? Wollt ihr so weitermachen mit der Welt?

Udo Lindenberg rappt

Udo Lindenberg ist dieser unfassbar coole Typ, dem nichts zu uncool ist. Der stellt sich hin und sagt: „Was uns zusammenhält, ist die Freundschaft.“ Der fragt sich und uns und alle: „Wie lang muss ich diesen Song noch singen? Kriege sind gemacht von größenwahnsinnigen Menschenverächtern.“ Er holt für „Wozu sind Kriege da?“ (1981) einen Kinderchor zu sich, die Kleinen singen: „Ich find das so bekloppt, warum muss das so sein?“, du hast schon wieder Tränen in den Augen, und schlagartig wird dir klar: Parteienkrise, Politikschlammassel – gebt Udo doch den SPD-Vorsitz!

„Die Menschheit muss Kriege beenden, bevor Kriege die Menschheit beenden“, sagt er. Und rappt: „Militär wird abgeschafft/Das wär ein geiles Ding/Wenn Krieg ist, steigen die Staatschefs/Selber in den Ring.“ Dazu ein Boxring auf der Bühne, in dem die Staatschefs in Stars&Stripes- beziehungsweise Roter-Stern-Dress wrestlen. Wobei es sich selbstverständlich um Staatschefinnen handelt, junge, schlanke Staatschefinnen, sie ähneln sehr den ungefähr siebzehnhundert jungen hübschen Damen, die Udo den ganzen Abend umschwärmen. Auch so was macht er ja gern. Und Küsschen für alle.

Was Udo Lindenberg als den perfekten Retter der SPD auszeichnet, ist seine klare Ansprache: „Fridays for Future – da steigen wir voll ein! Da gibt es auch kein Zurück mehr!“ Die Leute jubeln. Und Udo macht nicht nur Sprüche, er kann auch Probleme lösen (lassen). Als sein Monitor am Anfang nicht funktioniert, kommt ein Top-Mitarbeiter und schaltet ihn ein. Udo stolpert über das Kissen, das ihm ein anderer Top-Mitarbeiter hinlegt, wenn er auf die Knie sinkt, aber er fällt nicht. Udo stolpert auch über das Mikrofonkabel, das er hinter sich herschleift, obwohl es kabellose Mikros gibt, aber kabellose Mikros kann man nicht udomäßig am Kabel schwingen, aber er fällt nicht (ein Top-Mitarbeiter fummelt das Kabel hinterm Schlagzeug raus und wo es sonst noch hängenbleibt). Und Udo versingt sich nicht. Udo hat einen Teleprompter.

Er erklärt als Panik-Priester zwei Pfarrer zu Mann und Mann sowie zwei Nonnen zu Frau und Frau. Die Leute jubeln. Er ist der „König von Scheißegalien“ und lässt aufblasbare Flamingos und Blumen auf der Bühne wachsen. Er dankt seinem Körper dafür, dass er alles mitmacht, was er mitmachen musste und noch mindestens 30 Jahre mitmachen muss. Er singt: „Kommt, wir ziehen in den Frieden“. Es gibt Feuerzeuge zwischen den geschwenkten Handylampen im Publikum. Echte Feuerzeuge. Es gibt ergraute Paare im Publikum, die zum Lied „Nimm dir das Leben“ aufspringen und sich anstrahlen. Man wüsste gern ihre Geschichte dazu. Und es gibt hier das Gefühl, alles könnte doch noch gut werden.

Der Sound in der Festhalle ist knackig, die Bühnenshow ein grandioses Erlebnis. Zu „Cello“ schweben Cellistinnen in der Luft, von der „Andrea Doria“ hüpft Udo zum Bad in die Menge (Mikrokabel!). Nathalie Dorra und Ina Bredehorn singen an seiner Seite fantastisch, viel besser als ein künftiger SPD-Chef singen können muss. Mehr als 30 Lieder hat der Abend, am Ende ist alles Konfetti, Schlauchboot im Publikum, Narrenkappen, pinke Perücken, Sonderzug nach Pankow.

Hinterm Horizont erscheint an diesem Abend: das Brandenburger Tor. Von da sind es nur zehn Minuten mit dem Rad zum Willy-Brandt-Haus. Und den Weg von dort in seine „Bunte Republik Deutschland“ – der Udo könnte ihn jedenfalls vorangehen.

Text: Thomas Stillbauer
Fotos: Tine Acke

Quelle: Frankfurter Rundschau, 05.06.2019