25. Oktober 2023 Rocksänger kämpfte um Tour: „Auftritt Lindenberg in der DDR kommt nicht infrage“

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FAZ, 25.10.2023

Bei der DDR-Jugend war Udo Lindenberg äußerst beliebt. Jahrelang bemühte der Rocksänger sich bei der SED-Führung um eine Tour durch Ostdeutschland – die ihn schließlich widerwillig für ein Konzert ins Land ließ.

Dass die DDR ein Staat randvoll mit Unrecht war, geben manche Zeitgenossen ungern zu. Unbestreitbar aber dürfte selbst für die alten Apologeten sein, dass im Arbeiter-und-Bauern-Staat der Humor wenig Platz hatte, zumindest in der politischen Sphäre (es sei denn, man möchte Egon Krenz’ berühmtes „Haifischlächeln“ oder Erich Honeckers saarlänsch intoniertes „Liebegenossinnenundgenossen“ für Comedy zur Bespaßung der Massen halten). Autokraten und Diktatoren fürchten den Humor, weil er ihren Machtanspruch so schwerelos ins Lächerliche zu ziehen vermag und unterminiert; deshalb lassen sie ihn allenfalls in „Ein Kessel Buntes“-Dosierung zu.

Ein historischer Moment kurz vor dem Ende der DDR, in dem der Witz über den Zwang triumphierte, suggeriert wenigstens im Rückblick, auf welch tönernen sozialistischen Beinen das Regime stand – und die Geschichte verdankt diesen Augenblick ausgerechnet einem höchst eigenwilligen Charakter von auswärts, den die DDR-Oberen nur widerwillig ins Land ließen: Udo Lindenberg, damals Ende 30 und als Westkünstler sehr erfolgreich, der 1979 per Interview hatte wissen lassen, er würde gerne mal in der DDR auftreten.

Lindenberg in der Pose des Hofnarren

Doch die SED-Funktionäre kannten keine Gnade. „Die Prüfungen der Künstleragentur in der DDR ergaben, dass Lindenberg ein mittelmäßiger Schlagersänger der BRD ist, an dem kein Interesse besteht“, hieß es in einem Stasi-Bericht. Und SED-Chefideologe Kurt Hager beschied: „Auftritt Lindenberg in der DDR kommt nicht infrage.“

Wenn die SED etwas vermeiden wollte, dann war es Unruhe, und die, so fürchtete sie, würde bei einem Auftritt eines unberechenbaren Künstlers wie Lindenberg unweigerlich ausbrechen, weil er bei der DDR-Jugend äußerst beliebt war. Die Funktionäre gewährten dem Volk stattdessen Häppchen: Udo durfte eine Langspielplatte in der DDR herausbringen und der FDJ-Zeitung „Junge Welt“ ein Interview geben.

Seine Motivation, unbedingt in der DDR aufzutreten, schildert Udo der F.A.S. heute, 40 Jahre später, per E-Mail: „Ich wollte da spielen, weil ich die Panik-Fans liebe, egal wo sie in Deutschland leben – und meine Lieder da bringen, die ja immer auch für weltweite Friedensbemühung stehen.“ Als letzten Versuch schrieb er schließlich einen deutschen Text zu der Melodie von Glenn Millers Swing-Klassiker „Chattanooga Choo Choo“. Von diesem „Sonderzug nach Pankow“, mit maximaler lindenbergischen Schnoddrigkeit gesungen, hatten ihm alle abgeraten, weil er darin Erich Honecker, den DDR-Staatsratsvorsitzenden, als „Honi“ und „Oberindianer“ bezeichnete, mit dem er „ganz locker ein Fläschchen Cognac“ schlürfen würde – Lindenberg in der Pose des Hofnarren.

Das Ringen um einen Auftritt ging weiter. „Ein bis zwei Jahre meiner speziellen Panik-Diplomatie waren schon erforderlich“, schildert der Musiker heute das Ringen um einen Auftritt. Tatsächlich wurde Udo in der SED-Spitze zum Politikum, sodass die finale Entscheidung am Ende nur ein Mann fällen konnte: Honecker.

Wenige Wochen später geschieht das Undenkbare: Udo und sein Panikorchester dürfen in der DDR auftreten, bei „Rock für den Frieden“ im Palast der Republik. Und nicht nur das: Er hat auch einen Vertrag für eine DDR-Tournee im darauffolgenden Sommer. Die Kunde vom Auftritt in Ostberlin wird im Westen eher skeptisch kommentiert. Im Osten erfährt das Publikum im Vorhinein nichts. Die FDJ hat die gut 4000 Karten für das Festival an überwiegend Linientreue verteilt, und der Palast der Republik bleibt an jenem 25. Oktober 1983 für das sonstige Publikum geschlossen.

Als Udo gegen 20.30 Uhr in Lederhose und dunklem Tanktop auf die Bühne kommt, sieht er sich einem Meer an Blauhemden (der FDJ-Uniform) gegenüber. Er singt vier Lieder, darunter „Wozu sind Kriege da“. Der „Sonderzug nach Pankow“ ist nicht dabei, was er damals damit begründet, dass die Mission ja nun erfüllt sei und Honecker ihn singen lasse. Heute deutet er an, dass er seine Tournee nicht gefährden wollte. „Ich hatte den Vertrag ja in der Tasche und habe unter dem Aspekt meine Lieder für das Konzert ausgesucht.“

Eine Lederjacke gegen eine Schalmei

Auf der Bühne erklärt Udo, dass die Menschen in Ost und West doch alle dasselbe wollten, „Frieden und keinen heißen Krieg. Aber sie wollen auch keinen Kalten Krieg und keine deutsch-deutsche Eiszeit.“ Der Applaus bleibt höflich. Erst als Udo erklärt, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfe, steigt der Beifall, doch dann wendet er sich gegen die Stationierung von Raketen: „Keine Pershings und keine SS 20“. Letztere sind sowjetische Atomraketen und in der DDR ein Tabu. Den Frieden gefährdet nach SED-Lesart ausschließlich die USA. Das SED-Blatt „Neues Deutschland“ titelt am Tag danach „Machtvoller Protest der Jugend der DDR gegen USA-Erstschlagswaffen“ und erwähnt Udo nur in einer Aufzählung aller Künstler („Udo Lindenberg (BRD)“). Im DDR-Fernsehen wird das Konzert unzensiert gesendet.

Von den Tumulten, die es vor dem Palast der Republik gibt, wo echte Udo-Fans auf Einlass hoffen, ist freilich kein Wort zu lesen. Wie ein Blitz hatte sich in Ostberlin herumgesprochen, Udo sei da, immer mehr Jugendliche eilten deshalb zum Auftrittsort. Als sich Udo vor dem Konzert kurz blicken lässt, erntet er Jubel und wird von Fans auf Händen getragen. Die Stasi, so ist es in den Akten zu lesen, nimmt am gleichen Abend knapp 50 Jugendliche fest.

Ein Meer aus Blauhemden

Lindenberg wollte der Sache mit einem persönlichen Brief an den SED-Chef zu einem Ja verhelfen; er musste den Ton treffen, durfte nicht provozieren, aber auch nicht anbiedernd wirken. „Sehr geehrter Herr Honecker“, schrieb Udo also im August 1983, „ich wende mich mit einer Bitte an Sie.“ Er verstehe nicht, dass er nicht wie „andere aus dem Showgeschäft der BRD in Ihrem Staat auftreten“ dürfe. „Betrachten Sie bitte deshalb, Herr Staatsratsvorsitzender, meinen Text auf eine bekannte Schlagermelodie ‚Sonderzug nach Pankow‘ als ein Dokument meiner Irritation.“ Auf keinen Fall habe er „Sie mit diesem
Liedchen diskreditieren“ wollen. Dann folgte der Kniff, der den Staatschef erweichen sollte: „Ich möchte im Palast der Republik oder beim Festival des politischen Liedes wie andere
Rocksänger auftreten.“

Im Oktober des gleichen Jahres sollte im Palast der Republik ein großes Friedensfestival mit internationalen Künstlern, darunter dem US-amerikanischen Sänger Harry Belafonte, stattfinden. Es ist die Hochzeit des Kalten Krieges, in der die Siegermächte USA und Sowjetunion Atomraketen in beiden Teilen Deutschlands stationieren. In der Bundesrepublik wehren sich Menschen mit Demonstrationen wie im Bonner Hofgarten, Lindenberg tritt bei Konzerten wie „Künstler für den Frieden auf“. Das wirft er nun in die Waagschale, zusammen mit einem Verweis auf Honeckers Jugend im Saarland: „Als alter Wiebelskirchener Trommler beim RFB (Roter Frontkämpferbund, Anmerkung d. Red.) werden Sie mich verstehen. Herzlichst Ihr Udo Lindenberg.“

Das alles ließ in der SED die Zweifel wachsen, ob eine Lindenberg-Tournee zu beherrschen sei. Noch im gleichen Jahr sagte sie die vereinbarte Tour ersatzlos ab. Udo aber gab nicht auf, sondern kommunizierte weiter direkt mit „Honi“, man tauschte Geschenke aus: eine Lederjacke gegen eine Schalmei; das Instrument hatte Honecker einst beim RFB gespielt. Keine Panik durfte Udo erst drei Jahre später, 1990, in der DDR verbreiten.

Doch wer sich heute das Bild von ihm in der Menge vor dem Palast der Republik besieht, fühlt sich vielleicht an die Montagsdemos Jahre später erinnert, mit denen die Bürger der DDR ihren Oberen bedeuteten, dass sie genug hatten. Die stille Subversion, einen Staatsratsvorsitzenden mit „Honi“ anzusprechen, hatte gesiegt.

Text: Stefan Locke / F.A.S
Fotos: Tine Acke, Udo Lindenberg Archiv