10. Januar 2024 Udo Lindenberg und seine Rock-Revue '79: Pinguine im Nebel

Quelle
NDR.de, 09.01.2024

Es war ein riesiges und vor allem neuartiges Rock-Spektakel auf deutschen Konzertbühnen: Vor 45 Jahren, am 19. Januar 1979, startete Udo Lindenberg seine Revue in Bremen, inszeniert von Theaterregisseur Peter Zadek.

Nebel, Schnee und jede Menge Pinguine: So geht es zu auf der Bühne der ausverkauften Bremer Stadthalle, als sich am 19. Januar 1979 der Vorhang öffnet. Nebel quillt aus jeder Ecke, Fantasiegestalten wuseln über die Bühne - der Beginn eines außergewöhnlichen Events.

Udo Lindenberg startet seine Rock-Revue '79 und erscheint im Schlitten vor seinem Publikum, gezogen von zwei Rentieren. "Meine letzte Expedition führte mich zum nordischen Pol", singt der Rockstar, begleitet vom Sound seines Panikorchesters. "Die Bellos zogen die Schlitten und wir fühlten uns pudelwohl." Danach entledigt sich Udo lässig seines Mantels, trägt darunter die obligatorische Lederhose, dazu einen Frack. Der Eskimo "Ole Pinguin" springt herum und schon ist das Publikum mittendrin in einer musikalischen Grönland-Reise, der "Dröhnland Symphonie".

Zadek und Lindenberg betreten Neuland

Ein gigantisches Ereignis in durchaus amerikanischen Ausmaßen erwartete die Zuschauer in jenem Frühjahr 1979. Ob es nach heutiger Sicht "wie ein Komet, der zweimal einschlägt" rüberkam, ist nicht überliefert. Aber satte drei Stunden dauerte die Mega-Show, ein abendfüllendes Programm, gemacht aus Rock, Theater, Glanz und Glamour und mit rund 50 Akteuren vor und hinter den Kulissen. Kostenpunkt für die Produktion eines Abends: rund 70.000 DM. Kein Musical, keine Oper, eine Rock-Revue hatten sich Udo Lindenberg und Peter Zadek da ausgedacht. Das war wirklich neu auf deutschen Bühnen. Zwei Größen aus dem ernsthaften und dem unterhaltenden Genre hatten sich zusammengefunden, um es zu wagen: das "Experiment", eine Provokation. "Es ging darum, mehr Theater in den Rock 'n' Roll zu bekommen und mehr Rock 'n' Roll ins Theater. Schluss musste sein mit dem Sektierertum", äußert sich Udo Lindenberg in seiner Autobiografie "Panikpräsident".

"Anarchisches Laientheater"

Zadek steckte dafür so manche Schelte in den Gazetten ein. "Der ernsthafte, wenn auch in den Augen traditionsbewusster Theaterbesucher unseriöse Regisseur als Illustrator von Halbstarken-Schlagern? Es gibt keinen besseren Beweis dafür, wie sehr das über Jahre gehegte Misstrauen berechtigt war gegenüber einem Mann, der mit Shakespeare Schindluder getrieben hat und mit unverhohlener Genugtuung berichtet, er habe mit diesem Lindenberg zusammen Faust-Texte zur Gitarre gesungen", schrieb das "Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt". "Schön verrückt ist das immer, hat aber nie den Beigeschmack von anarchischem Laientheater verloren", war in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen. "Zadek als Konsequenz - das scheint da beinahe unausweichlich, zumal der Regisseur die Neigung Udo Lindenbergs zu allerlei makabren Monstrositäten, zum Aufsteigen von Gewalt und Brutalität in unserer Welt teilt, ihn in der Lust am Destruktiven womöglich noch übertrifft."

Eine Rock-Revue als kulturelle Massenveranstaltung? Es war Neuland, doch genau das wollten Zadek und Lindenberg ganz bewusst betreten.   



Fantasievolles Figuren-Musiktheater

Der gefeierte Theaterregisseur verlieh den Figuren aus den Liedern des bekannten Rockmusikers Gestalt. Da schwebte die korpulente Opernsängerin Elli Pyrelli übers Parkett, Rudi Ratlos hatte ebenso seinen Auftritt wie Bett-Män, der im gleichnamigen Song nicht fliegen, sondern lieber mit 'ner tollen Astronautin im Bett liegen will. Für die Choreografie war Pantomime Samy Molcho zuständig, für das passende Bühnenbild sorgte Peter Pabst, und sogar Filmclips und Dia-Projektionen waren Teil der Revue. Bunte Kostüme und Kulissen wechselten auf der Bühne - so bekamen die Zuschauer etwa eine Peepshow zu sehen, während Udo Lindenberg seinen Klassiker "Reeperbahn" sang. 

So einige Gast-Stars traten in der Rock-Revue auf, etwa die Sängerinnen Ulla Meinecke und Ingeborg Thomsen. Als echtes Urgestein der Rockmusik-Szene hatten Lindenberg und Zadek den Briten Eric Burdon eingeladen, der alte Songs aus seinen Zeiten bei der Band "The Animals" sang. "We Gotta Get Out Of This Place" war einer von zwei bis drei Klassikern, die er, teils im Duett mit Udo, auf der Bühne präsentierte.

Exzessive Tour durch 17 Städte

Nach der Eröffnung in Bremen machte die Rock-Revue Station in Lindenbergs Heimatstadt Hamburg. 6.000 Fans kamen am 21. Januar 1979 in die Ernst-Merck-Halle am Dammtor, für jeweils 18 DM Eintritt. "Ich habe die schwerste Woche meines Lebens hinter mir", sagte Konzertveranstalter Fritz Rau nach dem Konzert in einem Bericht des "Hamburger Abendblattes". Der Grund: Udo Lindenberg war schwer erkältet, das Projekt "Rock Revue '79" dadurch ernsthaft gefährdet. Davon berichtet auch die Dokumentation "So 'ne Tournee macht einen reichlich k.o. - Lindenbergs Rock-Revue '79" des Fernsehregisseurs Horst Königstein. Sie begleitet das gesamte Team vor und hinter den Kulissen.  

Trotzdem ging es in den Wochen danach immer weiter und durch die nächsten 15 Städte. Das Equipment war auf drei Sattelschleppern verstaut. Die Revue füllte immer wieder riesige Konzerthallen. Unter anderem standen Aufführungen in Essen, Köln, Düsseldorf, Saarbrücken, Heidelberg und Zürich auf dem Programm. Das letzte Konzert der legendären Tournee fand am 10. April 1979 in der Münchner Olympiahalle statt, die mit 10.000 Besuchern voll besetzt war. Nachdem sich der Vorhang zum letzten Mal geschlossen hatte, hatten insgesamt 100.000 Fans die Rock-Revue '79 gesehen.

 

Text: Beatrix Hasse, NDR

Fotos: Udo Lindenberg Archiv